Eine seelenlose Justiz – manche sprechen sogar von Justizverbrechen. Die Ignoranz in Roben, die Willkür und Blindheit, die Büttel für die Wirtschaft? Anklage unerwünscht. Oder: Im Zweifel für die Mächtigen!

Justiz1JustizalbtraumLeseprobe – Wegschauen, begünstigen, vertuschen: Deutscher Richterbund, Weisungsgebundenheit erschüttert Vertrauen der Bevölkerung in Staatsanwälte. „Es gibt schwerwiegende Mängel in unserem Rechtsstaat“. Anwaltsgerichte: „Haben wir es mit einer Art Geheimjustiz zu tun?“ Die Justiz produziert bewusst Armut und Krankheit! Wirtschafts-Habgier frisst Justiz auf und Maas macht für die Politik den Stickelberger? Noch herrscht bei den Richtern, bei der Polizei und bei den Staatsanwaltschaften die Unfehlbarkeitsposition. Dieses Buch soll für betrogene Unternehmer, die noch am Anfang ihrer Misere stehen und noch keinen Einblick in die Justiz gewinnen konnten, zur „Erst-Aufklärung“ dienen? Wir Journalisten finden es besonders wichtig, dass gerade die Menschen, die „frisch“ Opfer krimineller Machenschaften wurden und die Anzeigen erstatten und Prozesse führen wollen, sich erst mal mit dem System Justiz befassen sollten. Wir haben zuviele betrogene Unternehmer recherchiert und beobachten können, die am Anfang noch an unser Rechtssystem glaubten, bis sie finanziell total am Ende waren. Fritz Bauer 

gerechtigkeit-steht-c3bcber-dem-gesetz-wordpress2Vor dem Gesetz sind alle gleich – manche aber sind gleicher. Staatsanwaltschaften, die Ermittlungsverfahren mit Rücksicht auf übergeordnete Interessen einstellen, sind keine Ausnahme. Und wenn sich einmal ein mutiger Mensch findet, der Licht in das Dunkel von Korruption und Begünstigung bringen will, verhindern Finanznöte und Überlastung, dass Verfahren zum Abschluss kommen – bis sie verjährt sind. Anhand von hochbrisanten Fällen zeigen die Autoren, wie die dritte Gewalt den Rechtsstaat aushöhlt – und was sich ändern muss. Überall prangt sie an den Justizgebäuden: Justitia, die römische Göttin der Gerechtigkeit, aufrecht und durch nichts zu erschüttern. Einst, zu römischen Zeiten, hielt sie einen Ölzweig in der Hand als Symbol des Lebens. Seit dem späten Mittelalter bis heute ist der Ölzweig durch das Schwert ersetzt – als Zeichen für eine gerechte Strafe. Die Augenbinde trägt sie, weil sie ihre wichtige Arbeit ohne Ansehen der jeweiligen Person verrichtet, die Waage als Symbol für sorgfältige Abwägung. Unabhängig, unbestechlich, nur der Verfassung, dem Recht und der Wahrheit verpflichtet, sich ihrer eigenen definierten Macht bewusst und keiner anderen Macht zugeneigt, engagiert, realitätsbewusst und selbstkritisch – so sollte eine demokratische Justiz eigentlich aussehen. Nur unter diesen Bedingungen werden die unbestechlichen Hüter des Rechtsstaates ihrer Aufgabe und Stellung als »dritte Gewalt« gerecht. Leseprobe

Justiz3Doch leider wird das Bild einer unabhängigen Justiz hierzulande inzwischen in einer Häufigkeit und negativen Qualität Lügen gestraft, die sich der deutsche Bürger kaum vorstellen kann. Es sei denn, er ist selbst betroffen. Dabei geht es keineswegs lediglich um den von Juristen gern bemühten Unterschied von Rechtsprechung und Rechtsempfinden, sondern vielmehr um ein breites Spektrum skandalöser Realitäten: Da verstoßen Staatsanwaltschaften krass gegen das Legalitätsprinzip, das die Strafverfolgungsbehörden verpflichtet, gegen jeden Verdächtigen vorzugehen, gleich welchen Hintergrundes, und leiten keine oder nur sehr zögerlich Ermittlungsverfahren ein, wenn es um einflussreiche politische oder wirtschaftliche Macht-Habende geht. Vor allem bei Korruption und organisierter Wirtschaftskriminalität gilt in vielen Justizbehörden inzwischen das ungeschriebene Gesetz: wegschauen, abtauchen, nicht bewegen, sonst hat man schon verloren – auf dem eigenen Karriereweg nach oben.

Tatsächlich stößt man in immer mehr Bereichen des Rechtssystems und der Rechtsprechung – bis hinein in gesellschaftspolitisch brisante Fälle wie Kinderprostitution oder Geldwäsche in Spielbanken – auf das höchst fragwürdige Prinzip. Das jedoch ist nicht nur ein Struktur-, sondern vielmehr ein Systemproblem. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck mahnte auf einem Wirtschaftskongress seiner Partei im November 2006, er könne nicht akzeptieren, dass entsprechende Vorgänge – er bezog sich auf die gerade heiß diskutierten Korruptionsvorgänge bei Siemens – »schleichend zur Realität und über die Realität irgendwann zu augenzwinkernd akzeptiertem Verhalten werden.

Dabei geht es schon lange nicht mehr um die Frage, ob wir uns, irgendwie »schleichend«, auf eine entsprechende Bahn begeben könnten. Persönliche Vorteilsinteressen der politischen und wirtschaftlichen Funktionselite haben längst jegliche Gemeinwohlinteressen zur Seite geschoben. Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Realitäten, das zeigt sich hier wieder einmal, können also ganz unterschiedlich sein, insbesondere wenn Spitzenpolitiker diese Realitäten betrachten. Und die Justiz ist auch Abbild dieser Gesellschaft, in der die Käuflichkeit der politischen Eliten letztlich nur eine Frage des Preises ist. Im Zweifel geht es eben vielen Staatsanwälten und Richtern um die eigene Macht und das eigene berufliche Fortkommen.

Begehen Strafverfolgungsbehörden bei wichtigen Ermittlungen wie etwa im Fall von Sexualmorden gravierende, folgenschwere Fehler, dann verfallen einige in die Handlungsmuster ihrer Klientel: Spuren werden verwischt, Wahrheiten vertuscht und eigene Beamte, die auf die Pannen gestoßen sind, verraten und verkauft. Oder sie werden gemobbt. Wegen der Straftatbestände der Rechtsbeugung und der Strafvereitelung im Amt im Zusammenhang mit Fehlurteilen gab es in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte bisher kaum eine Verurteilung. Weshalb wohl? Weil Richter oder Staatsanwälte sakrosankt sind? Sind sie unfehlbar? Ist es die Angst, dass bei offensichtlichen Fehlurteilen die Justizkasse durch Schadensersatzprozesse gefordert wäre? Oder ist es das alte Krähensyndrom, nach dem ja bekanntlich eine Krähe der anderen kein Auge aushackt?

Doch wieder zurück zu etwas Grundsätzlichem. Der feine Unterschied zum normalen Bürger, dem Staatsanwälte wie Richter eigentlich dienen sollen, besteht bekanntlich in ihrer Machtfülle, insbesondere wenn Rechtsmittel, also Berufungen, ausgeschlossen werden. Die geplante Justizreform, die bereits von der rot-grünen Bundesregierung angestoßen wurde, hat genau im Sinn, diese Rechtsmittel noch weiter einzuschränken. Genüsslich weiden unterdessen schon jetzt manche
Richter und Staatsanwälte ihre Allmacht aus – als wahre Götter in Robe. Transparenz und Kritikfähigkeit, viel beschworene Prinzipien der Justiz, mutieren endgültig zur Farce, wenn Vertreter der Justiz selbst Täter werden: Dann ist höchste Energie gefragt, dann wird die heikle Sache zur Unkenntlichkeit gebogen und gedrechselt.

Auffällig ist auch, dass teilweise wegen fehlender Geldmittel nicht ermittelt wird. Wirtschaftskriminelle dagegen beschäftigen große Anwaltskanzleien und hochkarätige Wirtschaftsberater, um ihre kriminellen Machenschaften in komplizierten Vertragswerken zu verstecken, ihre Finanzgeschäfte zu verschleiern und rechtschaffene Unternehmer zu ruinieren. Was schlaue Köpfe, findige Juristen und Banker mit viel Knowhow und Energie ausgetüftelt haben, sollen dann ein Staatsanwalt und ein Wirtschaftskriminalist, die zusätzlich noch viele andere Fälle bearbeiten müssen, innerhalb der Verjährungsfrist aufklären. Normalerweise werden zur Lösung solcher Fälle Sachverständige und Gutachter eingesetzt. »Normal« in Zeiten klammer Kassen ist allerdings eher, was der Leiter des Wirtschaftsdezernats einer Staatsanwaltschaft einem Wirtschaftskriminalisten unverblümt sagte: »Ein Gutachten würde unseren Justizhaushalt sprengen.« Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner berichtete, dass Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Staatsanwaltschaft bereits ihre Dienste anbieten, weil diese personell völlig unterbesetzt ist. »Das kommt einer Privatisierung der Strafverfolgung gleich«, befürchtet der Frankfurter Oberstaatsanwalt.2 »Es gilt das Recht des Stärkeren oder desjenigen, der seine Interessen am gewieftesten durchsetzt bei einem geringen Risiko, erwischt zu werden«, klagt der Hamburger Rechtsanwalt Oliver Nix uns gegenüber.

Für ihn sind die Folgen eindeutig: »Der Staat und die Justiz haben gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität die Segel gestrichen. Strafverfolgung findet hier nur noch in einem geringen Umfange statt – und insoweit ist die Justiz in diesen Feldern des wirtschaftlichen Lebens praktisch ohne Bedeutung. Sie findet nicht mehr statt und wird ignoriert.« Der blanke Zynismus besteht darin, dass das System »Anklage unerwünscht« bei Wirtschaftskriminellen der Steuerzahler zu zahlen hat, der letztendlich für den Schaden aufkommen muss. Dieser wird im Bereich Wirtschaftskriminalität und Steuerbetrug auf jährlich mindestens fünfundvierzig Milliarden Euro geschätzt. »Alle Bankräuber in Deutschland müssten – ich habe das mal ausgerechnet – 259 Jahre lang Banken überfallen, um die Schäden zu verursachen, die jährlich durch Wirtschaftskriminalität verursacht werden. Die Herren Räuber, die sich auf Geldtransportüberfälle spezialisiert haben, müssten sogar 2625 Jahre lang arbeiten, um die jährlichen Schadenszahlen aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität zu erreichen.«

Das sagte der Frankfurter Rechtsanwalt Helmut Görling in seiner Laudatio auf Johann Podolsky, als dieser den Verdienstorden »Bulle Mérite« des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) verliehen bekam. Johann Podolsky vom Landeskriminalamt in Baden-Württemberg hat das Instrument der Vermögensabschöpfung bundesweit bekannt gemacht. Damit wird bei Straftaten sofort das Vermögen der Betroffenen eingezogen, der Staat behält es. Manchmal bleiben Ermittlungsverfahren aber auch jahrelang in der Schwebe. Für die Betroffenen, die in der Zeitung lesen können, gegen sie laufe ein Ermittlungsverfahren, kann das zu existenziellem Ruin führen, ganz zu schweigen von den seelischen Belastungen. Und da spielt es keine Rolle, wenn sich später herausstellt, dass sie unschuldig sind. Gründe für die schleppende Bearbeitung sind häufig eine miserable Ausstattung der Justiz und überlastete Staatsanwälte.

Gäbe es tatsächlich die »gute alte Justitia«, sie würde sich wohl die Binde vom Kopf reißen, wenn sie wüsste, was in ihrem Namen heute geschieht. Dass zum Beispiel in Verfahren wegen hochkarätiger Wirtschaftskriminalität die Justiz kapituliert hat, indem sie im Vorfeld »Deals« aushandelt. Diese bescheren den finanziell gut gepolsterten Angeklagten, meist Wirtschaftsfürsten, einen kurzen und oft komfortablen Prozessabschluss. Bei diesen unappetitlichen Deals drücken Staatsanwaltschaften und Richter beide Augen zu: Wenn etwa der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, der millionenschweren Untreue angeklagt, ungestraft in seinen Chefsessel zurückkehren kann, indem er einen für seine opulenten finanziellen Verhältnisse lächerlichen »Peanuts-Betrag« abdrückt. Angesichts dessen, was da beim Mannesmann-Prozess im Herbst 2006 im Namen des Volkes gefingert wurde, würde Justitia sicherlich nicht das Siegeszeichen machen. Denn es war nicht gerade ein Akt hehrer Rechtsprechung, sondern eher ein anrüchiges Schauspiel, das die pure Ohnmacht des Rechts offenbarte. Verkauft wurde es jedoch als geltendes Recht. Selbst darüber könnte man streiten. Der in Anspruch genommene Paragraf 153 a des Strafgesetzbuches lässt nur Verfahrenseinstellungen zu, wenn dadurch das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigt werden kann und die Schwere der Schuld dem nicht entgegensteht. Dass hier kein öffentliches Interesse vorgelegen habe – was muss in den Köpfen dieser Richter eigentlich vorgegangen sein?

Hochrangige Justizvertreter wie die Generalbundesanwältin Monika Harms kritisieren solche Deals scharf und sehen eine »fatale« Entwicklung des Strafrechts. »Es bricht auseinander«, beklagt auch der renommierte Strafrechtler Professor Detlef Krauß. Die Empörung in der Bevölkerung über diese Basarpraxis ist groß – zu Recht, im buchstäblichen Sinne. Doch es nützt nichts. Als am 17. Januar 2007 der Prozess vor dem Landgericht Braunschweig gegen den ehemaligen VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz begann, wurde bereits im Vorfeld eine Urteilsabsprache getroffen. Zwar warf die Staatsanwaltschaft Braunschweig Peter Hartz (der Symbolfigur für die Verelendung der deutschen Arbeitslosen und dem engen Freund des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder) Untreue in vierundvierzig Fällen vor. In dreiundzwanzig Fällen ging es um die Begünstigung eines Betriebsrats. Dafür drohen dem Normalsterblichen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Da Hartz bereit war, ein Geständnis abzulegen, kam es zum Deal: zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe in Höhe von 576.000 Euro. Der Justizapparat schonte seine finanziellen und personellen Ressourcen, dem Beschuldigten ersparte das Gericht den Auftritt von Luxusnutten und die Frage, was er sich beim Kauf des Betriebsratsvorsitzenden gedacht hatte. Ein anderes Bundesland, eine ähnliche Struktur: In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2006 Ermittlungen gegen den Schrauben-Milliardär Reinhold Würth gestartet, wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in beträchtlicher Millionenhöhe.

Es ging darum, wie die Kosten von der Konzernführung zwischen den Würth-Gesellschaften im In- und Ausland verrechnet wurden. Bei Hausdurchsuchungen schienen Fahnder auf belastendes Material gestoßen zu sein. Doch umso mehr wurde hinter den Kulissen manches in Bewegung gesetzt, um die pikante Sache möglichst geräuschlos abzuwickeln – ohne öffentliche Hauptverhandlung. Wie der Spiegel im Frühjahr 2008 berichtete, feilschten Würths Anwälte zuvor schon monatelang mit der Stuttgarter Staatsanwaltschaft um die genaue Höhe der mutmaßlich hinterzogenen Steuer. Und darum, dass der Unternehmer, wenn keine Einstellung des Verfahrens möglich sein sollte, lediglich mit einem Strafbefehl belangt wird, der maximal eine Strafe von einem Jahr auf Bewährung sowie eine Geldbuße zulasse. Im Mai 2008 kam es tatsächlich zum großen Deal: Würth erhielt einen Strafbefehl über maximal 3,5 Millionen Euro. Der Milliardär
ist damit zwar vorbestraft, doch ein Gerichtsverfahren war vom Tisch. Ermittler klagten über den spürbaren Druck aus der baden-württembergischen Politik, das Verfahren möglichst ohne öffentliche Verhandlung abzuwickeln. »Nahezu wöchentlich müssen wir Bericht erstatten«, sagten sie dem Nachrichtenmagazin. Der ehemalige Richterbund-Chef Helmut Borth war erschüttert (……)!

Vorwort aus der Taschenbuchausgabe: Wir ahnten beim Schreiben des Buches, dass Kritik an der Justiz, die sich mit dem innig gepflegten Heiligenschein der Rechtsstaatlichkeit und Gesetzestreue schmückt, auf eher verhaltene Gegenliebe stoßen wird. Die Reaktion der Leser auf das Buch war für uns hingegen bestürzend. Wir wurden mit einer Flut von Fällen verzweifelter Bürgerinnen und Bürger
überschwemmt, die von der Justiz im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Menschenwürde und teilweise ihrer existenziellen Grundlagen beraubt wurden. Ohnmächtig fühlten wir uns, weil wir in vielen Fällen nicht helfen konnten. Viel zu viele haben, was uns besonders erschreckte, inzwischen den Glauben an den demokratischen Rechtsstaat verloren. Sie sind aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit der Justiz davon überzeugt, dass diese sie zum Feind erklärt hat. Dazu gehörten jene, die es wagten, skandalöse Urteile von Richtern und Verfolgungsmaßnahmen oder fahrlässiges Nichthandeln durch Staatsanwälte nicht hinzunehmen. Zwar wurde nicht immer das Recht gebeugt, aber es ist inzwischen so biegsam wie ein Weidenstrauch geworden. Und Artikel 1 der Verfassung, die Würde des Menschen sei unantastbar, verkümmert zur Sprechblase.

Wir hatten natürlich nicht die Absicht, alle Richter und Staatsanwälte der Machtanmaßung, der Willkür und Korruption oder der servilen Anpassung an die jeweiligen politi-schen Machtträger zu beschuldigen. Aber wir wollten anhand konkreter Fälle auf strukturelle Probleme innerhalb der Justiz hinweisen. Für diese strukturellen Probleme, zum Beispiel die miserablen Arbeitsbedingungen durch Einschränkung finanzieller und personeller Ressourcen, für die genormte Ausbildungsdressur der Juristen, sind die jeweiligen regierenden Parteien und Landesparlamente verantwortlich. Sie schnüren mit ihren administrativen Maßnahmen, mit dem Ziel einer Ökonomisierung der Justiz, einer sorgfältigen ausgewogenen Rechtsfindung den Atem ab. Übrig bleibt dann bestenfalls eine seelenlose Justiz – manche sprechen sogar von »Justizverbrechen«, die klaglos hingenommen werden. Gibt es das überhaupt? Ja, sagt Rolf Lamprecht, der für den Spiegel die höchsten deutsche Gerichte und ihre Urteile verfolgte. »Justizverbrechen werden von der eigenen Zunft nur widerwillig wahrgenommen, Nichts sehen! Nichts hören! Nichts sagen! Letztmals geschehen in Naumburg. Dort beging das Oberlandesgericht (OLG) – objektiv – Rechtsbeugung im Wiederholungsfall. Keiner regte sich auf.«1 Und er erinnerte daran, dass schon einmal und zwar im Jahr 1933, als sich Recht in Unrecht verkehrte, der »Stand« den Verfall achselzuckend hinnahm. Der Eindruck drängt sich auf, dass die letzte Hürde davor nur noch das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof ist. Aber selbst Urteile des Bundesverfassungsgerichts werden inzwischen, wie Heribert Prantl schreibt, »von der Politik eklatant missachtet«. Auf der anderen Seite zeigt der Freispruch einer Arzthelferin durch die Vorsitzende Richterin Angelika Dietrich vom Landgericht Berlin, dass die Justiz noch funktionieren kann, wenn Zeit und Mühe zur Wahrheitsfindung aufgewandt werden. Die Arzthelferin war wegen Mordes angeklagt und im Januar 2005 von der 22. Großen Strafkammer in Berlin zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung wegen Mordes aus Habgier verurteilt worden. Aufgrund des Engagements ihres Anwaltes Lutz Körner und kritischer Richter wurde sie von diesem Verdacht freigesprochen, nach 888 Tagen Gefängnis.

Für die um sich greifende Unterwürfigkeit gegenüber den politisch Regierenden, für schlampige Urteilsfindung aus ökonomischen Gründen, für Willkür, sind Staatsanwälte und Richter selbst verantwortlich sowie diejenigen, die dieses Handeln fördern, dulden oder vertuschen. Groteske Liebdienerei den politisch Regierenden gegenüber ist es, wenn, wie in Sachsen, schon mal Staatsanwälte auf Richterposten gehievt werden – bevorzugt, wie wir erfahren haben, bei entsprechender Beflissenheit. Die Folge ist, dass im Laufe der Jahre eine verschworene Gemeinschaft mit einem ausgeprägten Korpsgeist wuchern kann. In einem solchen System hat derjenige kaum Chancen im Justizapparat, der nicht ins genehme politische Raster passt. Und sollte einmal gegen einen hohen Richter oder Staatsanwalt (keiner ist unfehlbar) ermittelt werden, dann genießt er besondere Privilegien, die einem normalsterblichen Bürger verwehrt sind. Trotzdem wird das Hohelied von der Gewaltenteilung, einer Justiz, die als »dritte unabhängige Staatsgewalt nicht der Legislative und Exekutive untergeordnet ist«, immer noch von den hohen Justiz-Repräsentanten gesungen. Deshalb stellt sich zwangsläufig die grundsätzliche Frage nach der richterlichen Unabhängigkeit. Sind Richter wirklich unabhängig? Noch herrscht die Unfehlbarkeitsposition, die jegliche Kritik an richterlicher Tätigkeit und ihren Urteilen als Verletzung des Prinzips der Unabhängigkeit verdammt. Diese Unabhängigkeit steht nicht nur zur Disposition bei offensichtlichen Fehlurteilen, deren Opfer sich häufig nicht mehr wehren können. Es mag im Vergleich dazu banal sein, aber sie wird auch dann tangiert, wenn der Aufstieg von dienstlichen Beurteilungen der politisch einge-färbten Ministerialbürokratie abhängt. Das kann nämlich faktisch auf eine informelle Weisung hinauslaufen, wie der Richter in Zukunft verfährt und entscheidet. Damit wäre der Mythos richterlicher Unabhängigkeit endgültig entzaubert.

»Umso mehr stellt sich die Frage, ob der Rechtsstaat wirklich machtlos ist, wenn einige Richter bis zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn folgenlos ihn und den gesamten Richterstand in Verruf bringen. Muss man diesen Zustand wirklich als Preis akzeptieren, den man für die Unabhängigkeit der Richter zahlen muss?«4 Das fragt Gerd Seidel, Professor für öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, in einem bemerkenswerten Aufsatz über die Grenzen richterlicher Unabhängigkeit. Er bezog sich dabei auch auf das Urteil eines Richters am Amtsgericht im hessischen Idstein. Der vertrat in einer Entscheidung über eine Unterhaltsklage die Auffassung, die unbefleckte Empfängnis sei »wissenschaftlich nicht auszuschließen wie das sehr seltene Phänomen der Parthogenese, auf welchem immerhin die Kulturgeschichte des christlichen Abendlandes zu einem nicht unerheblichen Teil beruht« (Aktenzeichen 10Js 5933.5/98 2DS). Der Richter übernahm die Behauptung der Kindsmutter, sie müsse vom Küssen mit einem Fremden schwanger geworden sein. Das hatte zur Folge, dass der durch einen DNATest als Kindsvater ausgeschlossene derzeitige Ehemann zur Unterhaltszahlung verpflichtet wurde.5 Derartige Folgerungen mögen abenteuerlich sein, sind jedoch nicht auf einen kleinen Amtsrichter beschränkt. »Worauf es ankommt«, so Professor Gerd Seidel, »ist Situationen zu verhindern, in denen einzelne Richter wiederholt durch offensichtlich grob unverhältnismäßig oder völlig unplausible Entscheidungen bzw. Eskapaden im persönlichen Verhalten die gesamte Richterschaft und darüber hinaus öfter auch den Rechtsstaat in Misskredit bringen.«

Dazu zählt sicher Hamburgs Ex-Richter Gnadenlos Ronald Schill, der in seinen »besten Zeiten« eine junge Frau ins Gefängnis stecken wollte, weil sie ein Auto zerkratzt hatte. Dann wurde er wegen Rechtsbeugung vom Landgericht Hamburg zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof aufgehoben und nach erneuter Hauptverhandlung wurde er im Dezember 2001 freigesprochen. In dieser Zeit war er bereits Innensenator in Hamburg! Im Februar 2002 wurde ihm vorgeworfen, Kokain zu konsumieren. Das Fernsehmagazin »Panorama« berichtete von diesem Verdacht und wurde daraufhin von der Hamburger Pressekammer angehalten, diese Behauptung nicht zu wiederholen. Über deren umstrittene Urteile, denen Verhandlungen wie am Fließband vorausgehen, informiert übrigens bestens die Webseite: www.buskeismus.de. Ronald Schill konnte sich ja deshalb erfolgreich gegen den Vorwurf des Kokainkonsums wehren, weil er triumphierend einen Haartest beim Gerichtsmedizinischen Institut in München präsentierte, wonach kein Kokain bei ihm nachgewiesen werden konnte. Anfang April 2008 präsentierte Bild eine private Videoaufnahme. Sie zeigte den inzwischen abgehalfterten Ex-Richter und Ex-Innensenator, wie er Koks schnupfte und stolz berichtete, wie er seinen damaligen Kokaintest manipuliert hatte. Ronald Schill ist die niedrige Ebene eines irgendwie höchst fragwürdigen Amtsrichters.

Ganz seriös hingegen geht es selbstverständlich in höchsten Richterkreisen zu. Seit Jahren sind der XI. Bankensenat des Bundesgerichtshofs (BGH) und dessen Vorsitzender Richter heftiger Kritik ausgesetzt. Vorgeworfen wird ihnen eine verbraucherfeindliche und bankenfreundliche Rechtssprechung, gerade wenn es um Anleger geht, die ihr Geld in sogenannte Schrottimmobilien für die Altersvorsorge investiert hatten. Mithilfe großer Anwaltskanzleien, deren Mandanten genügend Finanzmittel haben, um Verfahren bis in die letzte Instanz zu treiben, werden Anlegerrechte und die Rechte der Verbraucher mit Füßen getreten. Aus diesem Grunde legte der furchtlose Berliner Rechtsanwalt und Notar Helge Lode eine Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 1 BvR 900/07) ein.

In einem uns zur Verfügung gestellten Schreiben dazu heißt es: »Wie Sie der Verfassungsbeschwerde im Einzelnen entnehmen können, wird der Versuch zur Rechtsfindung seitens bestimmter Anleger mit einer floskelhaften Begründung verhindert. Es stellt sich die Frage, ob der Vorsitzende Richter des Bankenrechtssenats Herr Nobbe, mit einer derartigen floskelhaften Begründung – somit willkürlich – verhindern will, dass das weitere skandalöse Manager-Verhalten gerade bestimmter Berliner Banken wie der Berlin-Hyp im Zusammenhang mit dem seinerzeit öffentlichen 2. Förderungsweg aufgeklärt wird. Naturgemäß stehen erhebliche finanzielle Gefährdungen für die Bank – und das dahinterstehende Land Berlin – im Raum, diese bewegen sich nach den hiesigen Kenntnissen in diesem Zusammenhang alleine auf bis zu 500 Millionen Euro.« In der Verfassungsklage selbst schreibt er: »Die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates wird durch ein derartiges willkürliches Vorgehen zunehmend untergraben. Die Befürchtung betroffener Bürger, dass Gerichte die unverantwortliche Beteiligung von Banken bei Kapital-Anlage-Betrugs-Tatbeständen gar nicht aufklären wollen, bewahrheitet sich vorliegend endgültig.« Und weiter in dem bemerkenswerten Schriftsatz: »Gerade wenn es Tendenzen bei Managern gibt, zu deren eigenem Vorteil ein ›großes Rad‹ zu drehen, sollten es erst recht die Gerichte sein, die derartigen bedeutenden wirtschaftlichen Institutionen beibringen, dass man gerade von diesen eine gewissenhafte, sorgfältige Ausübung deren Berufspflichten erwarten darf.« Wir können nicht wirklich beurteilen, ob die Vorwürfe tatsächlich zutreffen. Allein der Umstand, dass sie an die Adresse eines Bundesrichters geäußert werden, macht nachdenklich.

Kann es sein, dass eine offenbar alles andere als bankenfeindliche Rechtssprechung mit dem zu tun hat, was uns ebenfalls ein bekannter Anwalt für Verbraucherschutz berichtete? »Einer meiner Kollegen, der mit einer Richterin verheiratet ist, hat neulich mit einem früheren OLG-Vorsitzenden gesprochen. Der erzählte ihm, ohne zu wissen, dass mein Kollege Verbraucheranwalt auf Seiten der Schrottimmobilienopfer ist, und ohne das auf den Bankensenat zu münzen, es sei keine Seltenheit, dass die Vorstandsvorsitzenden der Banken ihre Studienkollegen am Bundesgerichtshof (BGH) anrufen, um unmittelbar auf deren Rechtssprechung einzuwirken. Es sei unglaublich, wie dort das Recht aus politischen oder (natürlich falsch verstandenen) volkswirtschaftlichen Gründen mit Füßen getreten wird.« Sein resigniertes Resümee: »Könnte ich die Zeit noch einmal um zehn Jahre zurückdrehen, würde ich sofort das Land verlassen.« Dazu passen Meldungen wie die vom Sommer 2007. Nicht lange nachdem er umstrittene Urteile zur Rentenversicherung gesprochen hatte, die teilweise milliardenschwere Folgen hatten und daher für Ärger im Bundessozialministerium sorgten, verlor Wolfgang Meyer, Vorsitzender des vierten Senats des Bundessozialgerichts, einen Großteil seiner Kompetenzen und soll künftig nur noch für sozialrechtliche Randgebiete zuständig sein. Gerade in manchen Bundesländern drängt sich der Eindruck auf, dass eine Zwei-Klassen-Justiz herrscht: Das Recht der Armen und das Recht der Reichen. Denn vielen Bürgern ist es finanziell überhaupt nicht möglich, einen qualifizierten Anwalt und die Finanzmittel für erfolgreiche Verteidigung oder Gerichtskosten aufzubringen, um den Instanzenweg zu beschreiten. Und immer häufiger wird der rechtlich zulässige Anspruch auf Prozesskostenhilfe entweder mit fadenscheini-gen Gründen abgelehnt oder so lange hinausgezögert, dass es nun wirklich keine Hilfe für den Antragsteller mehr darstellt.

Uns liegt der Fall eines Unternehmers vor, der Anzeige wegen Korruption gegen ein Unternehmen in Baden-Württemberg erstattete, das sich zu 75 Prozent im Eigentum des Landes und zu 25 Prozent einer Kommune befindet. Er wandte sich an die Staatsanwaltschaft. »Zunächst ging man der Sache überhaupt nicht nach. Mir wurde mitgeteilt, dass es sich um ein seriöses Unternehmen handeln würde und man deswegen keine Veranlassung zur Überprüfung sieht.« Erst als er Druck machte und damit drohte, die Medien einzuschalten, wurden der Unternehmer und einer seiner Abteilungsleiter in U-Haft genommen. Besonders hart traf es jedoch den Anzeigeerstatter. Er wurde von der Staatsanwaltschaft mit Verfahren wegen Untreue und Steuerhinterziehung überzogen: Verfahren, die alle eingestellt wurden. »So arbeitet die Justiz. Wer Korruption der ›Großen‹ anzeigt, wird ruiniert und psychisch kaputt gemacht. Ich lebe inzwischen im Ausland, aus Angst vor weiteren Übergriffen auch gegen meine Lebensgefährtin.«

Nicht weniger problematisch ist es, wenn Staatsanwälte mehr oder weniger direkt im Justizministerium zum Appell antreten müssen und eine unabhängige sachgerechte Entscheidung zur Farce verkommt. Wir haben dieses Problem der politischen Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft in diesem Buch ausführlich thematisiert. Denn in einer demokratischen Gesellschaft ist eine von politischer Weisung unabhängige Staatsanwaltschaft der Grundpfeiler eines Rechtsstaats überhaupt. Unter anderem zeigt der Korruptionsfall Siemens, wie schwerfällig bestimmte Staatsanwaltschaften sich anfangs verhalten, wenn die Verdächtigen eine enorme Wirtschaftskraft repräsentieren. In Liechtenstein und der Schweiz, so erzählt ein für Rechtshilfe und Geldwäsche zuständiger Schweizer Staatsanwalt gegenüber Professor Hans Joachim Selenz, sei man über Schwarzgeld-Belege von Siemens geradezu gestolpert. Hinweise an die Kollegen in München, tätig zu werden, seien aber stets ungehört verhallt. Im Herbst 2006 habe man die Unterlagen schließlich zusammengepackt und sie den Kollegen in München auf den Schreibtisch geknallt mit den Worten:

Das sind eure Ganoven – kümmert euch endlich darum. «Der bundesweit renommierte Wirtschaftskriminalist Uwe Dolata schreibt sogar zum Fall Siemens, dass es »verschiedene Tatbestandsmerkmale gebe, die eine kriminelle Vereinigung kennzeichnen und die erforderlich sind, um unter den Gesichtspunkten der organisierten Kriminalität zu ermitteln. Das geschieht nicht. Andererseits gibt es glücklicherweise viele mutige und selbstbewusste Staatsanwaltschaften, mit Staatsanwälten, die auch Zweifel und Selbstzweifel zulassen, die sich von der Politik nicht gängeln lassen wie etwa in Bochum und die in der Liechtenstein-Affäre den bisher größten Fall von Steuerhinterziehung ermitteln. Sie sind geradezu das Leuchtfeuer der Hoffnung und ein Beweis dafür, dass es auch anders geht. Dafür plädiert unser Buch, nicht für mehr und nicht für weniger.

Jürgen Roth, Rainer Nübel, Rainer Fromm
Anklage unerwünscht!
Korruption und Willkür in der deutschen Justiz
ERSTMALS IM TASCHENBUCH
Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-453-64518-9
Heyne – Erscheinungstermin: September 2008

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