Proteste lassen sich nicht verbieten! Gequollene Hirngespinste eines Journalisten: zu einem Artikel von Michael Ebmeyer auf «Zeit Online»!

Prof. Dr. Axel Schönberger Deutschland: Am 25. Juli 2018 wurde auf auf der Blattform «Zeit Online» in der Rubrik ‘Kultur’ ein «Freitext» aus der Feder des Michael Ebmeyer mit dem Titel «Katalanische Hirngespinste» veröffentlicht. Nun wird bereits seit Monaten ein Großteil der deutschsprachigen Medienberichterstattung zu Katalonien von der mehr oder minder kritiklosen Übernahme der spanischen Propaganda geprägt, gut recherchierte Artikel, die auch den katalanischen Standpunkt berücksichtigen, sind selten. Doch einseitige Hetzpropaganda dieser Art, wie sie Michael Ebmeyer auf «Zeit Online» veröffentlichen durfte, ist Journalismus der besonderen Art, eine unreflektierte, in Teilen sachlich falsche und desinformierende Hetze, bei der sich katalanische Leser wohl an das in den letzten Jahren vielgebrauchte Wort der «Lügenpresse» erinnern dürften. Eine ‘Lüge’ sei Michael Ebmeyer indes nicht unterstellt, wohl aber die Verbreitung von Unwahrheiten und überaus parteiischen Wertungen. Dieser Artikel ist in der Summe ein absonderliches Hirngespinst seines Verfassers, der die Intelligenz seiner Leser beleidigt.

Ich kommentiere im Folgenden ausgewählte Passagen, der Text des Michael Ebmeyer wird jeweils in Anführungszeichen zitiert.

Der Untertitel besteht aus zwei Sätzen, deren erster lautet: «Mit dem Regierungswechsel in Madrid bestünde die Chance auf konstruktive Entspannung im spanisch-katalanischen Konflikt.» Womit will Ebmeyer dies belegen? Die spanischen Sozialisten, die nunmehr in Madrid an der Macht sind, haben gemeinsam mit den beiden Rechtsparteien Partido Popular und Ciudadanos dafür gesorgt, daß das demokratisch gewählte Parlament Kataloniens rechtswidrig aufgelöst, die legitime Regierung Kataloniens rechtswidrig gestürzt und unter Verstoß gegen verfassungsergänzendes Recht des spanischen Staates, nämlich entgegen den eindeutigen Vorschriften eines organischen Gesetzes Spaniens, von dem hierzu nicht befugten Präsidenten Spaniens Neuwahlen in Katalonien ausgeschrieben wurden. Weder haben sie sich hierfür entschuldigt noch haben sie bislang ihre Fehler eingeräumt oder korrigiert. Sie haben sogar öffentlich verlautbaren lassen, daß das fundamentale Menschenrecht der Völker auf Selbstbestimmung, das zwingendes Recht der Vereinten Nationen ist und dem sich Spanien vorbehaltlos unterworfen, ja es sogar in seiner Verfassung verankert hat, weder in Spanien noch sonst in irgendeiner «Demokratie» gelte, was bekanntermaßen sachlich falsch ist. Was ist daran konstruktiv? Wieso versucht die neue spanische Regierung nicht, den bestehenden Konflikt politisch zu lösen, der derzeit nach wie vor mit Mitteln des Strafrechts einzudämmen versucht wird? Was wäre das Projekt der neuen Regierung für Katalonien, welches sind die Vorschläge, das Unrecht der letzten Jahre und insbesondere der Zeit seit der rechtswidrigen Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung wieder gutzumachen? Der Ton mag sich zwar geändert haben, in der Sache tritt die neue spanische Regierung indes ähnlich katalonienfeindlich wie ihre Vorgängerregierung auf. Eine Chance auf konstruktive Entspannung könnte zuallererst darin liegen, daß alle politischen Gefangenen unverzüglich freigelassen werden, Spanien seine Pflicht erfüllt, die Menschenrechte nicht nur anzuerkennen, sondern sie insbesondere nicht zu behindern oder gegen sie zu verstoßen, und Katalonien ein großzügiges Angebot für den Fall macht, daß Katalonien aus freien Stücken in freier Ausübung seines Menschenrechts auf Selbstbestimmung vielleicht doch noch für einen Verbleib im Verbund des spanischen Mehrvölkerstaates optiert, weil das Angebot so gut wäre, daß man es kaum ausschlagen könnte. Das Angebot der Vorgängerregierung waren bekanntlich Schlagstöcke und Gummigeschosse. Ein neues Angebot liegt bislang noch nicht auf dem Tisch, während die Proklamation der unabhängigen katalanischen Republik vom 27. Oktober 2017 völkerrechtlich nicht zu beanstanden ist.

Der zweite Satz des Untertitels ist eine wertende Behauptung des Michael Ebmeyer: «Aber leider drehen wesentliche Teile der Unabhängigkeitsbewegung jetzt durch.» Das ist Ansichtssache. Ich beobachte die Lage in Katalonien genau und kann bislang nicht feststellen, daß diese Aussage auch nur im Entferntesten zuträfe. Mir drängt sich dagegen der Eindruck auf, daß jetzt leider gewisse Journalisten durchzudrehen beginnen und haltlose Unwahrheiten unter die Leute bringen.

Ebmeyer vermeint, bereits in der Vergangenheit sei ein vom ihm so genannter «katalanischer Masochismus» zu beobachten gewesen, zu dem nunmehr ein «neuer wahnhafter Zug in der katalanischen Politik» gekommen sei. Nun, wenn man es für normal, nachahmenswert und vorbildlich hält, daß sich unterdrückte Völker mit der Waffe in der Hand, mit Bomben und Terror gegen ihre Unterdrücker wehren und mit aller Gewalt bis hin zu Attentaten und Morden für ihre Freiheit kämpfen, wie es vielerorts in der Welt leider nach wie vor an der Tagesordnung ist, dann mag man den Katalanen einen gewissen ‘Masochismus’ unterstellen, weil sie eben im Gegensatz dazu ohne Waffen, friedfertig und im Vertrauen auf das spanische und internationale Recht einfordern, was ihnen die Charta und die beiden großen Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen sowie die spanische Verfassung garantieren, nämlich ihr Recht auf Selbstbestimmung sowie ihr «Right to Decide», wie sie dieses ausüben möchten. Mir scheint dieses Verhalten indes kein Masochismus, sondern Ausdruck einer reifen Klugheit, einer ethisch hochstehenden Moral und einer großen Würde zu sein. Ich erinnere daran, daß die katalanische Regierung nach dem 27. Oktober 2017 der rechtswidrigen Errichtung einer spanischen Diktatur in Katalonien deswegen nachgab, weil ein Widerstand ihrerseits absehbar zu von Spanien zu verantwortenden Toten auf den Straßen geführt hätte, und der katalanische Präsident und seine Minister auch nicht ein einziges Menschenleben gefährden wollen. So etwas nenne ich menschliche Größe und ein Vorbild für die ganze Welt!

Carles Puigdemont war und ist der legitime Präsident Kataloniens. Seine verfassungswidrige sogenannte «Absetzung» am 27./28. Oktober 2017 durch die spanische Regierung wird von der Mehrheit des katalanischen Volkes nicht anerkannt. Auch für die derzeitige katalanische Regierung unter dem exekutiven Präsidenten Quim Torra bleibt Carles Puigdemont der legitime Präsident Kataloniens. Dies ist die offizielle Haltung der katalanischen Regierung und des exekutiven Präsidenten der Generalitat de Catalunya. Carles Puigdemont hat einen klaren Wählerauftrag, dem er als ehrenwerter Politiker nach besten Kräften nachkommt und woraus er auch kein Geheimnis macht. Anstatt diesen Sachverhalt korrekt darzustellen, schreibt Ebmeyer über den legitimen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont: «In letzter Zeit gebärdet er sich als machthungriger Fanatiker, der versucht, Katalonien aus der Ferne zu beherrschen.» Ein «Fanatiker», der von einer bestimmten Idee, einer bestimmten Weltanschauung oder Religion dermaßen überzeugt ist, daß er sich mit blindem Eifer rücksichtslos und leidenschaftlich für das Erreichen seiner Ziele einsetzt, ist Carles Puigdemont mit Sicherheit nicht und war es auch nie gewesen. Hat Michael Ebmeyer denn vergessen, daß der katalanische Präsident nach dem Referendum vom 1. Oktober 2017, das in rechtlich einwandfreier, durch den spanischen Staat nicht einschränkbarer Ausübung des Menschenrechts des katalanischen Volkes auf Selbstbestimmung einen klaren Wählerauftrag beinhaltete, die Unabhängigkeit Kataloniens zu erklären und eine katalanische Republik auszurufen, diesem Auftrag zunächst nicht nachkam, sondern Spanien wochenlang den Dialog und Verhandlungen anbot, wofür er in Katalonien auch mit Kritik und Unverständnis bedacht ward? Wann soll sich Carles Puigdemont denn jemals blinden Eifers befleißigt haben, wann und wie soll er rücksichtslos vorgegangen sein? Er, der er immer wieder auf das Leiden der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer hinwies und sich dafür aussprach, sie aus Seenot zu retten und in Europa aufzunehmen? Er, der aus Rücksicht auf das Leben seiner Mitbürger angesichts der völlig unverhältnismäßigen Gewalt des spanischen Staates das Exil einem aktiven Widerstand, der ja durchaus möglich gewesen wäre, vorzog? Verwechselt Michael Ebmeyer etwa Carles Puigdemont mit dem neuen Vorsitzenden des Partido Popular, Pablo Casado, der durchaus Züge eines Fanatikers aufzuweisen scheint und den Konflikt mit Katalonien noch weiter zu eskalieren bestrebt ist? ‘Machthungrig’ bedeutet ‘machtgierig’. Was soll denn darauf hindeuten, daß Carles Puigdemont dies jemals gewesen wäre oder sei? Präsident Kataloniens wurde er erst im Januar 2016, weil und als die politisierte spanische Justiz in menschenrechtswidriger Weise den bisherigen katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas verfolgte und zu ruinieren versuchte, weil dieser das ihm von der Wählerschaft erteilte Mandat in ehrlicher, konsequenter Weise erfüllte und das Wahlprogramm, mit dem seine Partei angetreten war, auch tatsächlich umsetzte. In etlichen Interviews äußerte sich Carles Puigdemont, daß nicht seine Person, sondern das katalanische Volk wichtig sei, und daß die erforderliche politische Arbeit auch jederzeit von anderen getan werden könne, weil es nicht um Personen, sondern um die Sache des katalanischen Volkes gehe. Dies ist seine immer wieder vorgetragene Überzeugung, und es gibt nichts, was darauf hindeutete, daß er sie nur vorgetäuscht habe und in seinem Inneren ‘machtgierig’ sei. Und er ‘versucht’ auch nicht, Katalonien aus der Ferne zu beherrschen. Er ist der legitime Präsident Kataloniens. Eine Mehrheit der Wähler und eine Mehrheit des katalanischen Parlaments wollte auch in den von Spanien rechtswidrig angesetzten Wahlen vom 21. Dezember 2017, daß er in seinem Amt als Präsident der Generalitat de Catalunya bestätigt werde. Spaniens Regierung und undemokratische Kritokraten vom Schlage eines Pablo Llarena haben dies bisher in antidemokratischer, demophober Weise verhindert und versucht, den an den Wahlurnen zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen in ihrem Sinne zu korrigieren. Das ist ein Skandal ersten Ranges, es ist undemokratisch und verletzt im übrigen auch bürgerliche Rechte und Menschenrechte des Abgeordnete Carles Puigdemont. Darüber verliert Ebmeyer kein Wort. Daß sich der exekutive katalanische Präsident Quim Torra in allen wichtigen Belangen bis ins Detail mit Carles Puigdemont abspricht, ist kein ‘Versuch’ Puigdemonts, «Katalonien aus der Ferne zu beherrschen», sondern eine Erfüllung des Wählerwillens seitens der exekutiven katalanischen Regierung, die so den antidemokratischen Zwangsmaßnahmen Spaniens trotzt.

Die Gründung eines «Nationalen (Auf)Rufs für die Republik» («Crida Nacional per la República») bezeichnet Ebmeyer als «jüngsten Streich» Puigdemonts; ob er damit einen «Schlag» oder eine «mutwillige Handlung, mit der andere hereingelegt werden sollen», meint, bleibt offen; die Semantik des deutschen Wortes «Streich» ist ja bekanntlich doppeldeutig. In der Verbindung mit «jüngst» dürfte indes letztere Bedeutung intendiert sein. Weshalb die grottenfalsche Übersetzung von katalanisch «crida» mit «Schrei» Ebmeyer zufolge «irgendwie doch zutreffend übersetzt» sein soll, bleibt sein Geheimnis, zumal er diese Übersetzung ja selbst als «falsch» bezeichnet. «Schrei» heißt auf katalanisch nun einmal «crit» und nicht «crida».

Ebmeyer unterstellt dem legitimen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont, seit dessen Amtsantritt für einen «Krawallkurs» verantwortlich gewesen zu sein, der zur Zwangsverwaltung Kataloniens nach Artikel 155 geführt habe. Das ist fürwahr starker Tabak! Wer die Abläufe der Jahre 2016 und 2017 kennt, weiß, daß die von Carles Puigdemont geführte katalanische Regierung immer den Dialog mit Spanien suchte, die von Mariano Rajoy geführte spanische Minderheitsregierung des Partido Popular jedoch jeglichen ernsthaften Dialog verweigerte und in kollusiver Zusammenarbeit mit dem politisch agierenden, keineswegs neutralen und darüberhinaus auch über exekutive Kompetenz verfügenden sogenannten spanischen «Verfassungsgericht» die ohnehin nicht allzugroßen Autonomierechte Kataloniens zu schleifen bestrebt war. Spanien hat Katalonien jahrelang gereizt und provoziert, bis Mariano Rajoy dann sichtlich zufrieden seine verfassungswidrige Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung vornahm, der in dieser gesetzesbrecherischen Weise nie hätte angewandt werden dürfen und für dessen Anwendung im übrigen zum Zeitpunkt der Beschlußfassung auch nicht die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen bestanden. Die Proklamation der Unabhängigkeit Kataloniens erfolgte bekanntlich nach dem Beschluß des spanischen Senats, diesen Artikel anzuwenden und in Katalonien eine Diktatur zu errichten, nicht etwa umgekehrt! Einen «Krawallkurs», außerdem eine Verweigerungshaltung und zudem massive Verstöße gegen die Menschenrechte kann man mit Fug und Recht Mariano Rajoy und Soraya Sáenz de Santamaría vorwerfen, nicht aber dem stets besonnenen und im Rahmen der spanischen Rechtsordnung und der spanischen Verfassung agierenden katalanischen Präsidenten anlasten!

Daß das bürgerliche Lager innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung «durchdrehe», ist eine gewagte Wertung des Michael Ebmeyer. Zutreffend ist sicherlich, daß das bürgerliche Lager aufgrund des fortwährend ungesetzlichen und verfassungswidrigen Verhaltens der spanischen Regierungen und der Rechtsbeugung durch Richter höchster spanischer Gerichte inzwischen mehrheitlich keine Chance mehr für eine Lösung des Konflikts auf dem Verhandlungswege sieht, womit sie auch Recht haben dürfte. Auch die neue spanische Regierung hat sich verrannt. Allein aufgrund der Inhaftierung ehrenwerter katalanischer Politiker und friedfertiger führender Vertreter der katalanischen Zivilgesellschaft als politischer Gefangener hat Spanien diese Auseinandersetzung bereits verloren, auch wenn es noch einer gewissen Zeit bedürfen mag, bis die europäische Öffentlichkeit dessen gewahr wird!

Daß in den letzten Wochen im spanisch-katalanischen Konflikt alles nach Entspannung ausgesehen habe, wie Michael Ebmeyer vermeint, mag behaupten, wer nur die hinsichtlich Kataloniens schlecht informierte und schlecht informierende deutsche Presse zur Kenntnis nahm. Wer die Berichterstatttung in katalanischen Zeitungen, Nachrichtenportalen, Radio und Fernsehen verfolgte, wußte, daß so gut wie nichts auf eine Entspannung hindeutete, sondern im Gegenteil auch die neue spanische Regierung mit Ernennung des eingefleischten Gegners einer Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien Josep Borrell i Fontelles zum
Minister für Äußeres und Entwicklungshilfe und anderen Akten die katalanische Regierung sichtbar provozierte. Und daß sich der spanische «übereifrige Ermittlungsrichter Pablo Llarena» «gezwungen» gesehen habe, die internationalen Haftbefehle gegen Carles Puigdemont und die anderen von Spanien ins Exil getriebenen, demokratisch gewählten Minister Kataloniens zurückzunehmen, ist eine politische Wertung des Michael Ebmeyer. Wenn ein deutsches Oberlandesgericht nach eingehender Untersuchung feststellt — was im übrigen jeder, der die Medienberichterstattung verfolgt hatte, ohnehin bereits wußte —, daß es keine von Carles Puigdemont zu verantwortende Gewalt gegeben hatte und deswegen eine Anklage wegen Rebellion nicht statthaft sei, so hätte doch Pablo Llarena, wenn es ihm denn wirklich um die Durchsetzung des Rechtes ginge und er selbst daran glauben würde, daß sich Carles Puigdemont der mißbräuchlichen Verwendung öffentlicher Gelder schuldig gemacht habe, das Auslieferungsangebot der deutschen Justiz erfreut annehmen und in Erfüllung seiner richterlichen Pflichten Carles Puigdemont in Spanien den Prozeß machen können. (Und im übrigen wären der aus der Luft gegriffene Vorwurf der Rebellion auch gegenüber den politische Gefangenen fallen zu lassen und diese auf freien Fuß zu setzen.) Aber Pablo Llarena ist kein normaler Richter, sondern eben ein spanischer Kritokrat, dem es in erster Linie um Politik und das heilige Postulat Francos von der «Einheit Spaniens» geht; zur Erfüllung des Vermächtnisses des brutalen Massenmörders und verbrecherischen Diktators müssen die Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung eben hinter Gitter gebracht werden, auch wenn sie sich keiner erkennbaren Straftaten schuldig gemacht haben. Und daß es nur darum geht, sie so lange wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen, hat man erneut an der Rücknahme des Haftbefehls gegen Carles Puigdemont und dem Verzicht auf die angebotene Auslieferung — nebenbei gemerkt, hätte Carles Puigdemont aller Voraussicht nach vor dem Bundesverfassungsgericht obsiegt und wäre auch nicht wegen «Korruption» ausgeliefert worden — gesehen. Aber auch hier macht Michael Ebmeyer aus seiner journalistischen Parteilichkeit keinen Hehl.

Es kommt aber noch schlimmer. Michael Ebmeyer formuliert tatsächlich wie folgt: «Doch wie ein Besessener hält Puigdemont am Fetisch der katalanischen Republik und an seiner eigenen Rolle als großer Strippenzieher fest. Der Sturz seines Gegenspielers Rajoy und der Regierungs- und Stimmungwechsel in Madrid passen ihm nicht in den Kram. Er will keine Signale der Gesprächsbereitschaft, sondern die Fortdauer der kompromisslosen Konfrontation mit dem spanischen Staat.» Das ist ein wirklich starkes Stück! Der legitime katalanische Präsident handele wie ein «Besessener»! Mir als aufmerksamem Beobachter der Entwicklung ist nichts, aber auch gar nichts aufgefallen, daß es rechtfertigen würde, den legitimen katalanischen Präsidenten mit diesem negativen Epitheton zu belegen! Carles Puigdemont ist von der Richtigkeit seines Handelns zutiefst überzeugt, und dazu hat er auch allen Grund. Aber «besessen» war er nie gewesen und ist es auch nicht! Der «Fetisch der katalanischen Republik»? Michael Ebmeyer hat nicht verstanden, daß die Proklamation der katalanischen Republik vom 27. Oktober 2017 das Völkerrecht nicht verletzte und somit gültig war und ist. In der derzeitigen Phase geht es um den Aufbau der Strukturen der katalanischen Republik, womit bereits begonnen wurde. Wenn Michael Ebmeyer die Proklamation eines neuen Staates, die sich auf das kollektive Menschenrecht auf Selbstbestimmung stützt, als «Fetisch» zu bezeichnen geneigt ist, so mag er beispielsweise auch die deutsche Wiedervereinigung, die auf Grundlage desselben Menschenrechts erfolgte, als «Fetisch» bezeichnen. Die Regierung Rajoys wurde auch auf Weisung des legitimen katalanischen Präsidenten gestürzt. Wie in aller Welt kommt Michael Ebmeyer darauf, daß Rajoys Sturz Carles Puigdemont «nicht in den Kram» gepaßt habe? Will er ihm etwa schizophrenes Verhalten unterstellen? Unzweifelhaft haben die katalanischen Abgeordneten im spanischen Parlament, die dem nach wie vor von Carles Puigdemont angeführten Unabhängigkeitslager angehören, für den Sturz der Regierung Rajoy gestimmt. Wieso hätten sie dies denn tun sollen, wenn es ihnen «nicht in den Kram» gepaßt hätte? Erst denken, Herr Ebmeyer, dann schreiben! Und welche «tatsächlichen Signale der Gesprächsbereitschaft» soll die neue spanische Regierung denn ausgesandt haben? Hat sie denn ernsthaft angeboten, nach einer politischen Lösung zu suchen, anstatt das Strafrecht für eine Kriminalisierung der Führer der katalanischen Souveränitätsbewegung zu instrumentalisieren? Und wer ist denn für die «kompromißlose Konfrontation mit dem spanischen Staat» verantwortlich? Es ist Michael Ebmeyer doch wohl bekannt, daß nach jahrelangen, kompromißbereiten Verhandlungen, in deren Verlauf die Katalanen in vielen Punkten nachgaben, das spanische Parlament am 10. Mai 2006 einem neuen Autonomiestatut für Katalonien zugestimmt hatte, das zwar nicht dem entsprach, was die Katalanen ursprünglich gewollt hatten, womit sie sich aber zufriedengegeben hätten. Unter Inanspruchnahme seines von der spanischen Verfassung gedeckten Rechts auf Selbstbestimmung stimmte das katalanische Volk am 18. Juni 2006 mit 73,9 % der abgegebenen Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von ca. 49 %) für die Annahme des neuen Statuts und wäre bereit gewesen, auf dieser Grundlage weiterhin dem spanischen Mehrvölkerstaat anzugehören. Am 19. Juli 2006 wurde das neue Autonomiestatut vom spanischen König unterzeichnet, am 9. August 2006 trat es als organisches Gesetz des spanischen Staates in Kraft. Mariano Rajoy, einer der größten politischen Brandstifter Spaniens der letzten Jahre und bekanntermaßen kein Freund Kataloniens, griff daraufhin das neue Autonomiestatut Kataloniens mit einer Normenkontrollklage seiner Partei beim sogenannten spanischen Verfassungsgericht an, wobei er sich sicher sein konnte, daß das in der Regel parteiisch entscheidende Verfassungsgericht in den Hauptpunkten der Klage des Partido Popular stattgeben würde. Zu der am 31. Juli 2006 eingereichten Klage erging am 28. Juni 2010 ein Urteil des sogenannten spanischen Verfassungsgerichtes, das wesentliche Artikel des neuen Autonomiestatuts als angeblich verfassungswidrig für ungültig erklärte. Dadurch wurde die bislang kleine Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien zu einer mehrheitsfähigen Massenbewegung von Millionen von Menschen. Die in der Folge von Mariano Rajoy und dem sogenannten spanischen Verfassungsgericht, das wichtige Gesetze des katalanischen Parlaments auf Antrag des Partido Popular immer wieder kippte, betriebene kompromißlose Konfrontation mit Katalonien prägt seitdem die Beziehungen zwischen Spanien und Katalonien. Die Kompromißlosigkeit ging immer von Spanien aus, die Katalanen waren lange zu Verhandlungen und zu einem Dialog bereit. Doch sie sind auch lernfähig. «Est modus in rebus, sunt certi denique fines.» Die Kompromißlosigkeit, für die Spanien — und allen voran Mariano Rajoy und Soraya Sáenz de Santamaría — verantwortlich waren, unter Verdrehung der historischen Tatsachen dem seit Januar 2016 amtierenden katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont vorzuwerfen, ist kein sauberer Journalismus, sondern die Tatsachen verdrehende Hetze, wobei Michael Ebmeyer keineswegs leugnet, daß die Katalanen auf die Verweigerungshaltung der Regierung Rajoys reagierten, aber ihnen unterstellt, daß sie eben diese wünschten und benötigten, um ihr Ziel der Unabhängigkeit Kataloniens verfolgen können. Das stimmt einfach nicht! Die Katalanen waren lange, viel zu lange zu Kompromissen bereit und wollten verhandeln. Erst mit der rechtswidrigen Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung hat die spanische Regierung und der spanische Senat das Band zwischen Spanien und Katalonien endgültig zerschnitten. Jetzt geht es nur noch darum, wann und wie sich beide Länder voneinander trennen werden. Das «ob» steht nicht mehr zur Disposition und kann von uninformierten Journalisten auch nicht mehr herbeigeschrieben werden.

Welche «Chance auf vorteilhafte Kompromisse mit Madrid» Ebmeyer für die Katalanen sieht, bleibt sein ureigenes Hirngespinst. Entsprechende Angebote, die als für Katalonien ‘vorteilhaft’ bezeichnet werden könnten, gab und gibt es nicht. Daß in Spanien noch immer alte Strukturen aus der Zeit des Franco-Regimes fortbestehen — darunter an erster Stelle die von Franco gewünschte und eingerichtete Monarchie, gegen welche just diese Tage wieder einmal schwere Korruptionsvorwürfe erhoben werden —, ist ein Fakt und keine ‘Erzählung’. Man stelle sich einmal vor, Deutschland würde heutzutage von einem Kaiser regiert, weil Adolf Hitler dies testamentarisch so verfügt hätte … Daß regelmäßig Gelder der spanischen Regierung an die Francisco Franco-Stiftung geflossen sind, wird Ebmeyer wohl nicht ernsthaft bestreiten wollen, auch nicht die massenhafte Verwendung des faschistischen Grußes im heutigen Spanien (und zwar nicht nur im Valle de los Caídos, der monumentalen Kultstätte der Franco-Anhänger, und bei den Gegnern der Unabhängigkeit Kataloniens auf deren Demonstrationen in Barcelona). Die Audiencia Nacional in Madrid ist ein klares rechtliches Überbleibsel der Franco-Zeit, und einiges im spanischen Rechtssystem geht auf die Unrechtsjustiz des spanischen Massenmörders zurück. Die Parteien, die für eine staatliche Souveränität Kataloniens eintreten, haben anders als von Michael Ebmeyer behauptet keine «hauchdünne Mehrheit», die sie «mit einem schicksalhaften Auftrag zur Staatsgründung» verwechseln, sondern eine stabile Mehrheit, mit dem sie den Willen des katalanischen Volkes umsetzen, der am 1. Oktober 2017 in einem zulässigen Referendum — was gibt es demokratischeres als eine solche Volksbefragung? — zum Ausdruck kam. Obwohl der spanische Staat dieses Referendum illegalerweise zu verhindern versuchte und eine große Zahl von abgegebenen Stimmzetteln an sich brachte, die dadurch nicht ausgezählt werden konnten, ergaben die ausgezählten Stimmen — bezogen auf die Gesamtheit der katalanischen Wähler — einen höheren Prozentsatz derjenigen, die sich für eine staatliche Souveränität Kataloniens aussprachen, als beispielsweise derjenigen, die sich bei dem Referendum in Großbritannien für den Brexit ausgesprochen hatten. Weshalb soll denn in dem einen Fall eine entsprechende Mehrheit eine ausreichende demokratische Grundlage für den Brexit sein, in dem anderen Fall aber ein höherer Prozentsatz der Wähler eine Trennung Kataloniens von Spanien nicht legitimieren? Herr Ebmeyer muß sich fragen lassen, ob er möglicherweise ein fallweises Demokratieverständnis im Sinne des alten Spruchs «quod licet Iovi, non licet bovi» hat. In der Demokratie entscheiden eben nun einmal Mehrheiten, auch wenn dies Michael Ebmeyer nicht gefallen mag!

Abschließend unterstellt Ebmeyer dem legitimen katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont sogar «Irrlichtqualitäten». Nun ja. Was ein irrlichternder Schreiberling vom Schlage eines Michael Ebmeyer so alles zu Papier bringt, braucht man sicher nicht unbedingt ernst zu nehmen. Daß er aber schreibt, es sei Carles Puigdemont gewesen, «der Katalonien im Namen einer Republik, die niemand ernst nahm, politisch lahmlegte», ist eine die Tatsachen verdrehende Unwahrheit. Millionen von Katalanen sollen «niemand» sein? Herr Ebmeyer! Nicht etwa das katalanische Volk und das katalanische Parlament, sondern Carles Puigdemont soll die Errichtung der katalanischen Republik beschlossen haben? Vielleicht in einem Paralleluniversum, das den Hirngespinsten des Michael Ebmeyer entsprang. In unserer realen Welt beschloß das demokratisch gewählte und hierzu im übrigen durch zwingendes, auch in der spanischen Verfassung verankertes Völkerrecht befugte Parlament Kataloniens in Erfüllung des an den Urnen zum Ausdruck gebrachten Wählerwillens die Errichtung einer souveränen katalanischen Republik. An dieser Abstimmung nahm auch Carles Puigdemont kraft seines Abgeordnetenstatus als «unus inter pares» teil. Und lahmgelegt hat Katalonien nicht etwa er und auch nicht das katalanische Parlament, sondern die rechtswidrige Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung, die einem Staatsstreich gleichkam und für die die drei Parteien der spanischen Sozialisten, des rechten Partido Popular und der in Teilen rechtsextremen Partei Ciudadanos, deren Haß auf die Katalanischen Länder und die katalanische Sprache und Kultur sattsam bekannt ist, verantwortlich sind.

Sicherlich gibt es auch heute noch in Deutschland manche Wirrköpfe, die der irrigen Meinung anhängen, die von den Nationalsozialisten verfolgten Minderheiten seien selbst an ihrer Verfolgung schuld gewesen. Ebenso mag es auch in Spanien in rechten Ideologien glaubensfeste Zeitgenossen geben, die der Meinung sind, daß die Katalanen selbst dafür verantwortlich seien, daß ihr demokratisch gewähltes Parlament von Spanien aufgelöst und ihre Regierung entmachtet wurde, so wie sie auch selbst dafür verantwortlich gewesen seien, im Spanischen Bürgerkrieg von den faschistischen Truppen besiegt und über Jahrzehnte von Francos Diktatur unterdrückt worden zu sein. Aber wer oder was in aller Welt veranlaßt Herrn Ebmeyer, einen solchen bodenlosen, geschichtsverfälschenden Unsinn kritiklos zu übernehmen und auf «Zeit Online» zu verbreiten?

Der letzte Satz des Artikels des Michael Ebmeyer zeigt schließlich erneut, daß er nichts, aber auch gar nichts von der Entwicklung der letzten Monate verstanden hat:

«Zu befürchten ist — und da fällt der neue Wahn in den alten Masochismus zurück —, dass die katalanische Politik somit nach allem, was schon schief gelaufen ist in den Jahren des procés, auch noch die Chance vertändeln wird, mit der Regierung Sánchez in Madrid Grundlagen eines verbesserten Modells für die Eigenständigkeit Kataloniens innerhalb Spaniens zu schaffen.»

Nein, Herr Ebmeyer, nein, nein und nochmals nein. Es gibt eine solche Chance nicht mehr. Spanien hat sie im Oktober 2017 endgültig verspielt. Es gibt eine völkerrechtlich wirksame Proklamation der souveränen katalanische Republik, die das katalanische Volk nunmehr sukzessive errichten wird. Diese bedarf zu ihrer Wirksamkeit nicht der Anerkennung anderer Staaten oder der Europäischen Union. Ein verbessertes Modell der Eigenständigkeit Kataloniens innerhalb Spaniens steht seit der rechtswidrigen Anwendung des Artikels 155 der spanischen Verfassung und der von Spanien in Katalonien in der Folge eingerichteten Diktatur nicht mehr auf der Tagesordnung der Weltgeschichte. Und dies ist einzig und allein Spanien zuzuschreiben, Katalonien war bis zur buchstäblich letzten Minute dialog- und verhandlungsbereit. Jetzt sind die Würfel bereits geworfen, Spanien mag die Souveränität Kataloniens verzögern, wird sie aber nicht verhindern können.

Michael Ebmeyer hat einen sich schlechter Argumente bedienenden politischen Kommentar verfaßt, der in Teilen wie eine Hetzschrift wirkt und eine hinsichtlich des Menschenrechts auf Selbstbestimmung menschenrechtswidrige Haltung des Verfassers zum Ausdruck bringt. Vermutlich weiß Ebmeyer noch nicht einmal, daß das kollektive Menschenrecht auf Selbstbestimmung nicht nur in Spanien gilt, sondern auch zwingendes deutsches Recht ist und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde, nachdem Deutschland den Vereinten Nationen beitrat und deren beiden großen Menschenrechtspakte ratifizierte. Die politische Gesinnung, die er zum Ausdruck bringt, mag heutzutage von der Meinungsfreiheit gedeckt sein; ob sie zu einer sich als liberal verstehenden Plattform wie «Zeit Online» paßt, darf dagegen wohl eher bezweifelt werden.

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