Wie überbringt die Polizei Todesnachrichten den Hinterbliebenen? Death notification delivery training for police cadets!

Krisenkommunikation für PolizistInnen: Konstanzer Kulturwissenschaftlerin hat in Kooperation mit polizeilichen Einrichtungen Kurs in verantwortlichem Überbringen von Todesnachrichten entwickelt! Der Blended-Learning-Kurs „Todesnachrichten verantwortungsvoll überbringen“ unterstützt PolizistInnen bei einer ihrer herausforderndsten Aufgaben. Die Lernanwendung ist das Ergebnis eines wissenschaftlichen Transferprojekts von Kirsten Mahlke, Professorin für Kulturtheorie und Kulturwissenschaftliche Methoden im Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz, und ihrer Mitarbeiterinnen. Er wurde in Kooperation mit polizeilichen Einrichtungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen entwickelt. Blended learning bedeutet, dass die didaktischen Vorteile des digitalen Lernens im Selbststudium kombiniert werden mit Gruppendiskussion und praktischem Training im Präsenzunterricht. Die Transferarbeit der Universität Konstanz ist in den Handlungsfeldern „Kommunizieren“, „Beraten“ und „Anwenden“ zusammengefasst.

Prof. Kirsten Mahlke

„Es gibt keine schlimmere Nachricht zu übermitteln, als die vom unnatürlichen Tod eines Angehörigen“, beschreibt Projektleiterin Kirsten Mahlke eine Situation, die letztlich alle BürgerInnen und alle PolizistInnen einmal treffen kann. Doch auf die Aufgabe, eine solche Nachricht zu überbringen, fühlen sich die wenigsten von ihnen angemessen vorbereitet. In der Ausbildung angehender PolizistInnen in Baden-Württemberg beispielsweise behandeln nur ein paar Sitzungen den Umgang mit den Angehörigen von Menschen, die durch einen plötzlichen Unfall oder auch ein Gewaltverbrechen aus dem Leben gerissen werden. Dabei kommen in Deutschland mehr als 30.000 Menschen jährlich auf diese Weise zu Tode. (RRRedaktion: Muss die Polizei bei der Überbringung einer Todesnachricht bewaffnet an der Tür stehen?)

„Ziel unserer Lernanwendung ist, Polizistinnen und Polizisten für die Bedürfnisse von Angehörigen in einer solchen Situation zu sensibilisieren und auf die Krisenkommunikation nicht nur beim Klingeln an der Haustür bestmöglich vorzubereiten.“ Ein Versagen an dieser Stelle, so die Wissenschaftlerin, kann für die Angehörigen schwerwiegende, traumatisierende Folgen nach sich ziehen.

Keine bedauerlichen Einzelfälle: Wie eine vom Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve durchgeführte Untersuchung und die publik gewordenen Beschwerden von Angehörigen nach Großschadensereignissen gezeigt haben, handelt es sich nicht um bedauerliche Einzelfälle. Dass Probleme in dieser Art von Krisenkommunikation nicht behoben werden, hängt mit Arbeitsstrukturen, Gewohnheiten, aber auch ungeprüften Vorannahmen in Polizeidienststellen zusammen. „Da eine polizeiinterne Qualitätskontrolle bislang nicht üblich ist, gehen Polizeibehörden oft davon aus, dass Todesnachrichten im eigenen Umfeld gut überbracht werden, so lange es keine Beschwerden von Seiten Angehöriger gibt. Doch beschweren sich traumatisierte Betroffene oft nur deshalb nicht, weil sie sich den Behörden gegenüber ohnmächtig fühlen“, gibt die Kulturwissenschaftlerin zu bedenken.

Sehr häufig begegnete sie in Gesprächen mit PolizistInnen auch der Meinung, dass Todesnachrichten zu überbringen eine eher psychosoziale Aufgabe sei, die von besonders empathiefähigen Personen übernommen werden sollte. Dagegen wendet Mahlke ein: „Es handelt sich dabei um eine genuin polizeiliche Aufgabe, die ureigentliche Polizeiverantwortung berührt: Gefahrenabwehr, Opferschutz und Ermittlungsarbeit. Und das Rüstzeug für die verantwortungsvolle Krisenkommunikation ist durchaus erlernbar.“ Nicht nur beim Überbringen der Nachricht, sondern auch in den Tagen danach geht es darum, den Angehörigen alle wichtigen Informationen zum Tod des Betroffenen mitzuteilen, ihnen Kontaktadressen für Nachfragen zu geben und sie über ihre Rechte aufzuklären. Außerdem kann allein die Polizei eine Türöffnerfunktion gegenüber Staatsanwaltschaft oder Gerichtsmedizin wahrnehmen, wenn beispielsweise die Angehörigen den Verstorbenen noch einmal sehen wollen, um Abschied von ihm zu nehmen.

Von der Berliner Landespolizei eingeladen: Die elektronische Lernanwendung wurde in Kooperation mit dem Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve, der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Polizei in Duisburg, der Polizei in Stuttgart sowie der Abteilung Technik, Service und Logistik der Polizei Freiburg entwickelt. Sie verzahnt Lerneinheiten für den Präsenzunterricht im Rahmen der Aus- oder Weiterbildung mit Informationen und Checklisten, die jederzeit elektronisch abgerufen werden können. So bietet sie Know-how, das leicht zugänglich und in überschaubarer Zeit zu erlernen ist. „Wir freuen uns, dass die Lernanwendung in Baden-Württemberg eingeführt werden wird. Nun wollen wir sie auch an die entsprechenden Bedürfnisse in anderen Bundesländern anpassen“, erklärt Kirsten Mahlke. „Von der Berliner Landespolizei sind wir bereits eingeladen, den Blended-Learning-Kurs vorzustellen.“

Faktenübersicht:

• Kooperations- und Transferprojekt  der Universität Konstanz „Todesnachrichten verantwortungsvoll überbringen“ der Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Kirsten Mahlke mit polizeilichen Einrichtungen in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen
• Kooperationspartner: Opferschutz der Polizeibehörde in Kleve, Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Polizei in Duisburg, Polizei in Stuttgart, Abteilung Technik, Service und Logistik der Polizei Freiburg
• Ergebnis: Blended-Learning-Kurs zur Krisenkommunikation für angehende PolizistInnen
• Gefördert als ERC-Projekt des Europäischen Forschungsrates (European Research Council).

Bildunterschrift: Der Blended-Learning-Kurs „Todesnachrichten verantwortungsvoll überbringen“ unterstützt PolizistInnen bei einer ihrer herausforderndsten Aufgaben. Copyright: Manuel Plewnia

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
Telefon: + 49 7531 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

Claudia Marion Voigtmann – Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ an der Universität Konstanz
Telefon: + 49 7531 36 306-18
E-Mail:  claudia.voigtmann@uni-konstanz.de

Cultural scientist from Konstanz, in collaboration with police institutions, developed course on how to deliver death notifications responsibly

The blended learning course „Death Notification with Responsibility“ supports police officers with one of their most challenging tasks. The course is the result of a scientific transfer project conducted by a research team led by Kirsten Mahlke, professor of cultural theory and cultural studies methods in the Cluster of Excellence „Cultural Foundations of Social Integration“ at the University of Konstanz. It was developed in collaboration with police institutions in Baden-Württemberg and North Rhine-Westphalia. Blended-learning courses combine the advantages of e-learning with group discussions and practical classroom training. The University of Konstanz categorises its transfer activities into the three domains of activity „communication“, „advice“ and „application“.

„There’s nothing worse than having to tell someone that a relative has died of unnatural causes“, says Kirsten Mahlke when describing the situation that every citizen and every police officer might be confronted with one day. However, hardly anybody feels they have been adequately prepared for the task of delivering such bad news. During police officer training in Baden-Württemberg, for example, only a few sessions brief the future officers on how to interact with the relatives of persons who have lost their lives due to an accident or a violent crime. More than 30,000 persons in Germany die every year from such a cause.

„Our teaching modules aim to sensitize police officers to the needs of relatives and prepare them as best as possible for such situations.“ According to the researcher, mistakes can have serious traumatic consequences for the relatives.

Not isolated incidents
A study conducted by the police’s victim protection unit in the city of Kleve as well as complaints by relatives after large-scale tragedies have shown that such unfortunate missteps are not isolated incidents. That such communication issues have not been resolved yet has to do with outdated work structures, long-established habits and also unchecked preconceptions at police stations. „Since internal quality assessments are not usually carried out, police departments often assume that their officers deliver death notifications well as long as the relatives don’t file complaints. However, traumatized persons often do not complain, as they feel powerless when facing the authorities“, the cultural scientist points out.

When talking to police officers, she frequently comes across the opinion that delivering death notifications was a more psychosocial task that particularly empathetic officers should carry out. Mahlke objects to this view: „This is actually a genuine police task that is a traditional part of police work: emergency response, victim protection and investigation. The good news is that you can learn a responsible way to communicate with the bereaved“. Not only when delivering the notification, but also in the days that follow, the police officers should inform the relatives about important facts of the death, name contact persons for any questions that might arise and inform the relatives about their rights. Another important role the police might play is to make arrangements with the prosecution or with the forensics lab, for example, so that relatives can see the deceased person one more time and thus acknowledge his or her death in person.

Invited by the Berlin police force: The e-learning module was developed in collaboration with the police’s victim protection unit in the city of Kleve, the FHöV police academy in Duisburg, the police department in Stuttgart as well as the technology, service and logistics unit of the police department in Freiburg. Classroom course units are combined with electronically available information and checklists. Access to the required knowledge is easy, and the content can be learned in a reasonable period of time. „We are very happy that the course will be introduced in Baden-Württemberg. Now we will adapt it to fit the needs of other German states“, explains Kirsten Mahlke. „The Berlin police force has already invited us to present the blended-learning course to them“.

Facts:

• Transfer project at the University of Konstanz „Death Notification with Responsibility“ carried out by Professor Kirsten Mahlke in collaboration with police institutions in Baden-Württemberg and North Rhine-Westphalia
• Cooperation partners: Police victim protection unit in the city of Kleve, the FHöV police academy in Duisburg, the Stuttgart police department, and the technology, service and logistics unit of the Freiburg police department
• Result: Blended learning course for police cadets on how to deliver death notifications responsibly
• Funded as an ERC Proof of Concept project by the European Research Council

Contact
University of Konstanz
Communications and Marketing
Phone: + 49 7531 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

 

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