Die Deutschen mit ihren Studien und Statistiken, Papier ist geduldig? Wertvorstellungen von Bürgern und Politikern gehen weit auseinander!
Zwischen den Wählern und ihren Vertretern in den Parlamenten gibt es eine deutliche Kluft: ihr Verständnis von Werten – also dem, woran sich die Menschen bei ihrem Zusammenleben orientieren – ist deutlich verschieden. Dies zeigen die zentralen Ergebnisse der „Wertestudie 2013“. Sie entstand in Kooperation des Meinungsforschungsinstituts YouGov und der gemeinnützigen Wissenschaftsstiftung Change Centre Foundation. Für die repräsentative Studie wurden im Juni und Juli 2.075 Bundesbürger und 1.061 Abgeordnete auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene befragt. Bei allen Unterschieden sind sich Bürger und Abgeordnete einig, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau: Die Bedeutung von Werten hat in den letzten Jahren abgenommen. Mehr als die Hälfte der Bürger (55 Prozent) geben dies an und immerhin 39 Prozent der Mandatsträger. Werte YouGov
Vor dem Hintergrund der Wahlen im September 2013 stellt sich die Frage nach der Werte-Übereinstimmung zwischen der Bevölkerung und ihren Vertretern drängender denn je. Hier zeigt die Studie deutliche Unterschiede auf. Die Politiker halten eher die Gemeinschaftswerte wie „Gerechtigkeit“ (Topwert mit 63 Prozent Zustimmung) „Toleranz“ (55 Prozent), „Freiheit“ (53 Prozent) und „Solidarität“ (51 Prozent) für wichtig. „Es sieht so aus, als ob viele Politiker vor ihrer
Antwort in den Parteiprogrammen geblättert hätten, so abstrakt sind die genannten Werte“, sagt Professor Joachim Klewes von Change Centre Foundation. „Gerechtigkeit ist für alle Volksvertreter der Top-Wert. Allerdings wird das Ergebnis durch die extrem hohe Gerechtigkeitspräferenz der Linken, Grünen und SPD nach oben gezogen“, ergänzt Holger Geißler von YouGov.
Dagegen richten sich die von den Bürgern bevorzugten Werte ohne große Schwankungen zwischen den Erhebungsjahren 2011 und 2013 eher auf die konkreten Qualitäten des Zusammenlebens. Im Unterschied zu den Volksvertretern erreicht bei den Bürgern keiner der wichtigsten Werte die 50 Prozent-Schwelle. Den Bürgern sind Werte wie „Respekt“ (44 Prozent), „Gerechtigkeit“ (43 Prozent) und „Ehrlichkeit“ (41 Prozent) wichtig, dicht gefolgt von „Familie“ (39 Prozent). „Natürlich wollen die Bürger auch Gerechtigkeit, aber unmittelbar flankiert von Respekt und Ehrlichkeit – also Werten, die viel stärker auf den Umgang miteinander zielen“, sagt Professor von Alemann, Politikwissenschaftler an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Ein weiterer Befund der Studie deutet darauf hin, dass der Wert „Respekt“ von Frauen wesentlich stärker präferiert wird als von Männern – im Unterschied zum Wert „Freiheit“.
Unterschiedliche Werte-Diskrepanz zwischen Wählern und Politikern der einzelnen
Parteien: Auffällig ist der je nach Partei sehr unterschiedliche Werte-Abstand zwischen den Mandatsträgern einer Partei und denjenigen Bürgern, die genau diese Partei gewählt haben. Dieser Diskrepanz-Index wird berechnet, indem die Unterschiede in der Bevorzugung von einzelnen Werten über alle zwanzig abgefragten Werte zusammengezählt werden. „Die Ergebnisse zeigen ein deutliches Links-Rechts-Gefälle: Dass die kleine Partei FDP recht geringe Differenzen zwischen Mandatsträgern und Wählern aufweist, überrascht vielleicht nicht. Aber dass die linken Parteien so deutlich weiter weg von ihren Wählern denken als die konservativen – das ist schon dramatisch“, sagt Professor von Alemann. „Wertediskrepanzen kommen immer dann zustande, wenn die Lebenswirklichkeiten sich stark unterscheiden. Ich fürchte, das ist zwischen Politikern und Bürgern oft der Fall. Die Volksvertreter müssen näher an ihr Volk rücken“, kommentiert Professor Klewes das Ergebnis.
Die Unterschiede in den Wertpräferenzen von Wählern und Gewählten sind je nach Wert sehr unterschiedlich. „Beim Wert ‚Solidarität’ finden wir mit Riesen-Abstand die größten Unterschiede – mit 54 Differenzpunkten. Und das ausgerechnet gleichermaßen bei der Linken und den
Sozialdemokraten“, sagt Holger Geißler. Weitere Werte mit großen Differenzen zwischen Bürgern und Abgeordneten der SPD sind „Toleranz“ und „Gerechtigkeit“.
Eltern und Lehrer/innen vermitteln Werte und Tugenden: Überraschend nah beieinander liegen Volk und Volksvertreter allerdings dann wieder bei ihren Antworten auf die Frage, wer in der
Gesellschaft für die Vermittlung von Werten verantwortlich sei. Für die befragten Bürger wie für die Politiker gilt: Werte werden vor allem von Eltern (Bevölkerung: 79 Prozent) und Erziehern bzw. Lehrern (Bevölkerung: 40 Prozent) vermittelt. „Werte werden nur durch direkte Kommunikation im Nahbereich glaubwürdig vermittelt. Deshalb schneiden die bloß medial erfahrbaren Experten,
auch Kirchenvertreter oder Promis, hier so schlecht ab“, sagt Professor Klewes mit Verweis auf die Werte für Prominenz aus Entertainment (acht Prozent), Sport (fünf Prozent) und auch aus den Religionsgemeinschaften (13 Prozent).
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