Proteste lassen sich nicht verbieten! Solidarität mit Katalonien – für das Recht auf friedliche Selbstbestimmung! Die Banalisierung der Verbrechen der ‘Rebellion’ und des ‘Aufruhrs’!
Prof. Dr. Axel Schönberger: Más de 120 catedráticos y profesores de Derecho rechazan las acusaciones de rebelión y sedición en el caso ‚procés‘. Die Unterzeichner, Rechtsprofessoren an spanischen Universitäten, sehen sich angesicht der von den beiden Staatsanwaltschaften Spaniens, der Fiscalía General del Estado und der Abogacía General del Estado, dem spanischen Obersten Gerichtshof und der Audiencia Nacional vorgelegten schriftlichen Schlußfolgerungen aufgrund der historischen Bedeutung des bevorstehenden Strafverfahrens für die spanische Demokratie verpflichtet, ihre rechtliche Meinung offen kundzutun.
Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, daß bestimmte Verhaltensweisen von Mitgliedern der katalanischen Polizei ‘Mossos de Escuadra’, des katalanischen Parlaments und der katalanischen Regierung sowie der führenden Persönlichkeiten der katalanischen Nationalversammlung und des Òmnium Cultural das Delikt der ‘Rebellion’ gemäß Artikel 472 des spanischen Strafgesetzbuches verwirklicht hätten. Ein solches Verbrechen setzt jedoch einen öffentlichen und gewalttätigen Aufstand voraus. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß es unserer Meinung nach ein rechtsirrtümlich ist, davon auszugehen, daß die Ereignisse vom 20. September und 1. Oktober 2017 unter das Gewaltkonzept gemäß Artikel 472 des spanischen Strafgesetzbuches fallen würden.
Darüber hinaus ist diese Auslegung der Voraussetzung von Gewalt von der Leitlinie verschieden, die das spanische Verfassungsgericht bezüglich der Analyse des Deliktes der ‘Rebellion’ aufgestellt hat. Denn STC 198/1987 vertritt — bei der verfassungsgemäßen Rechtfertigung der Ausweitung der in Artikel 55 Absatz 2 der Verfassung vorgesehenen außergewöhnlichen strafrechtlichen und prozessualen Maßnahmen, um bewaffneten Banden oder terroristischen Elementen entgegenzutreten — die Auffassung, daß in der parlamentarischen Diskussion über die vorgenannte Vorschrift «… es eine ausdrückliche Gleichsetzung zwischen Terrorismus und Rebellion gibt, soweit es den Angriff auf das demokratische System und die Ersetzung der von den Bürgern frei gewählten Regierungs- und Staatsform betrifft. Es ist zutreffend, daß Art. 55.2 nicht ausdrücklich Rebellen erwähnt hat, sondern nur bewaffnete Banden oder terroristische Elemente …», aber «… per Definition wird die Rebellion von einer Gruppe durchgeführt, die das Ziel hat, Kriegswaffen oder Sprengstoffe unrechtmäßig zu benutzen, um die Zerstörung oder den Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung zu bewirken». Und ST198/187 kommt zu dem Schluß: «Aus diesem Grund ist es legitim, gegen solche Rebellen, sobald sie das Konzept der bewaffneten Bande des Art. 55.2 der spanischen Verfassung verwirklichen, die Aussetzung der Rechte anzuwenden, die das Verfassungsgebot ermöglicht».
Wir glauben auch nicht, daß in diesem Falle das Delikt der ‘Aufruhr’ («Sedición») des Artikels 544 des spanischen Strafgesetzbuches vorliege, da zu keinem Zeitpunkt ein Hinweis dafür erbracht wurde, daß die Angeklagten einen tumultartigen Aufstand veranlaßt, provoziert oder durchgeführt hätten, um die Einhaltung des Gesetzes zu verhindern, es sei denn, es werde ausgelegt, daß es ausreiche, zur Inanspruchnahme des Demonstrationsrechts Anlaß zu geben, das heißt, zur Ausübung eines Grundrechts. Es ist nicht möglich, den Angeklagten diejenigen individuellen Verhaltensweisen zuzuordnen, die zuvor oder danach oder von anderen, unterschiedlichen Personen ausgeübt wurden, da im Strafrecht nicht der Grundsatz der objektiven Verantwortung gilt, sondern die subjektive Verantwortung für die Taten an sich.
Was das Verbrechen der ‘Rebellion’ nach Art. 472 des spanischen Strafgesetzbuches betrifft, so behauptet die Staatsanwaltschaft, daß die Angeklagten von Anfang an mit dem Endziel, die Unabhängigkeit Kataloniens und dessen Abspaltung vom Zentralstaat zu erreichen, den Einsatz von Gewalt in Betracht gezogen hätten. Sie stellt die Frage, wie sie dies durchgeführt hätten, und gibt zur Antwort: durch die tumultartige Aktion Tausender von Bürgern, die von aufgestachelt wurden, und die tätige Mitwirkung der katalanischen Polizei.
Für die Staatsanwaltschaft liegt die Gefahr also in der Anstiftung zu Mobilisierungen, das heißt, sie macht die Ausübung der Grundrechte zu einem Verbrechen. Darüber hinaus glauben wir, daß diese Interpretation der Arten von ‘Rebellion’ und ‘Aufruhr’ die Tür zur Banalisierung von Rechtsfiguren öffnet, wie sie in einer Demokratie praktisch unbekannt und mit einer trauriger Erinnerung an die Vergangenheit behaftet sind, weshalb der Gesetzgeber von 1995 sie auf Fälle eines materiellen Schadens beschränkte, der den derzeitigen eindeutig übersteigt.
Das Ergebnis der unzureichenden Inanspruchnahme dieser Rechtsfiguren ist das, was wir sehen: die Forderung nach sehr hohen Haftstrafen, deren Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit — der bei jeder Rechtsauslegung maßgebend sein muß — höchst fragwürdig ist. Nur durch eine sehr schwere Verletzung des Grundsatzes der strafrechtlichen Legalität kann behauptet werden, daß die Angeklagten — angesichts der ihnen zugeschriebenen Taten — dieses Verbrechen oder die Verschwörung zu einer Rebellion hätten begehen können, was eine gemeinsame Übereinkunft erfordert hätte, es mit der selben Gewalt durchzuführen.
Das Einzige, was die Staatsanwaltschaft bisher jedoch bewiesen hat, ist, daß alle — mit derselben Zielsetzung durchgeführten — Mobilisierungen lediglich mit friedlichen und demokratischen Mitteln ein Referendum durchsetzen wollten. Mit ihrer fixen Idee, ein Vorhandensein von Gewalt rechtsfigürlich anzusetzen, konzentriert sich die Staatsanwaltschaft im Wesentlichen auf die Ereignisse des 20. September sowie des 1. und 3. Oktober [2017]. Darüber hinaus geht sie so weit zu behaupten, daß die Tatsache, daß eine Anwendung von Gewalt nicht von Anfang an geplant gewesen sei, nicht daran hindere, davon auszugehen, daß die Angeklagten nach den Ereignissen jener Tage den Beschluß gefaßt haben, den Aufruf fortzusetzen, wobei man die Gefahr der Ausübung von Gewalttaten und anderen Konfrontationen in Kauf genommen habe.
Weder die Ereignisse vom 20. September 2017 noch die vom 1. oder 3. Oktober 2017 verwirklichen jedoch die in Artikel 472 des spanischen Strafgesetzbuches vorausgesetzte Gewalt. Was hingegen das Delikt des ‘Aufruhrs’ betrifft, so ist daran zu erinnern, daß es (Artikel 544 des spanischen Strafgesetzbuches) systematisch dazu eingesetzt wird, um Bürgerbewegungen zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen, die friedlich das Recht auf Demonstration, Vereinigung und Versammlung ausüben.
Schlußfolgerung: Darüber hinaus darf man die nicht unwesentliche Frage der rechtlichen Unzuständigkeit der Audiencia Nacional nicht vergessen, die den Prozeß begann, wodurch sie die Nichtigkeit jeglicher weiterer gerichtlicher Schritte begründete.
— Aus rein rechtlicher Sicht (und ohne politische Überlegungen anzustellen) fordern wir die Achtung des Grundsatzes der strafrechtlichen Legalität; man soll in jeder Beziehung ermitteln, welche die Rechtsstaatlichkeit erlaubt und wozu sie verpflichtet, aber ausschließlich soweit, denn nur innerhalb dieser Grenzen kann es Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit geben. -—Der erste Schritt, der unternommen werden müßte, ist die Freilassung der neun Personen, die wegen nicht vorhandener Straftaten in Untersuchungshaft gehalten werden.
Unterzeichnet von: Guillermo Portilla Contreras, Professor für Strafrecht an der Universität Jaén. Nicolás García Rivas, Professor für Strafrecht an der Universität von Castilla – La Mancha. María Luisa Maqueda Abreu, Professorin für Strafrecht an der Universität Granada.
José Ángel Brandariz García, Professor für Strafrecht an der Universität A Coruña. Javier Mira Benavent, Professor für Strafrecht an der Universität von València.»
N. B.: Dieser Aufruf wurde inzwischen von mehr als 120 spanischen Rechtsprofessoren unterzeichnet. Weswegen viele Juristen in Deutschland und anderen europäischen Ländern noch immer schweigen, während ihre spanischen Kolleginnen und Kollegen öffentlich gegen das Unrecht, das die spanische Justiz derzeit vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit begeht, protestieren, bleibt rätselhaft. Quelle (auf kastilisch):
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