Justiz Gutachten als Waffe gegen Querulanten?
DAS GUTACHTEN ALS WAFFE GEGEN QUERULANTEN? Voraussetzung für einen Querulatorischen und Streitsüchtigen Beamten? Nach Aussage des Innenministers ist der Beamte Streitsüchtig und Querulatorisch, wenn der Beamte sich auch an Recht und Gesetz in eigener Sache hält?
RICHTERWAFFE GEGEN QUERULANTEN? Der Aufsatz zum Querulantentum-Missbrauch von Prof. Dr. Joachim Hellmer, Artikel vom 16.08.1980 in der Süddeutschen Zeitung.
Es gibt eine ausgedehnte Praxis, „Querulanten“ und andere unliebsame Personen mit Hilfe des ärztlichen Sachverständigen mundtot zu machen. Berühmt-berüchtigt sind zum Beispiel die Zwangspensionierungen von Beamten, die den Staat – aus berechtigten oder unberechtigten Gründen – unbequem, vielleicht sogar (wegen ihres behördeninternen Wissens) gefährlich geworden sind. Gehen diese gegen ihre Entlassung gerichtlich vor, was ihr gutes Recht ist, rettet sich der Staat vor einer Nachprüfung seiner Entscheidung nicht selten durch Einschaltung eines ärztlichen Gutachters, der entweder Dienstunfähigkeit attestiert oder gar Querulantenwahn diagnostiziert, wobei schon Aberkennung der Prozessfähigkeit genügt, um den Beamten unschädlich zu machen. Es muss ihm dann ein Pfleger (nach heutigem Recht ein Betreuer – Anm. der Redaktion) bestellt werden, der von sich aus entscheidet, ob die Klage erhoben oder weiterverfolgt wird.
Vielleicht widerspricht schon das leicht zerbrechliche Institut der Prozessfähigkeit dem Grundsatz von der Würde des Menschen und der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Das eigentliche Übel liegt aber in derUnkontrollierbarkeit und jedem Missbrauch zugänglichen Aussage des Sachverständigen. Hier werden unter dem Anschein objektiver Tatsachen oftreine Meinungen geäußert, die zudem noch in der Regel höchst umstritten und beliebig manipulierbar sind. Am gefährlichsten ist die immer wieder auftauchende Bezeichnung „Querulant“ (oft in Verbindung mit „progressivem Wahn“ oder „Psychopathie“, um dem Meinungsurteil einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen).
Querulanz ist weder eine Geisteskrankheit noch ein die Geschäfts-, Prozess- oder Zurechnungsfähigkeit berührender Zustand, sondern hartnäckige Kritik und furchtloser Widerspruch gegen irgendwelche Zu- oder Missstände, meistens besonders intelligenter und sensibler Menschen, gewiss oft überzogen und eskalierend bis zum Exzess. „Querulant“ war z.B. Michael Kohlhaas, „Querulanten“ waren aber auch Luther, Voltaire, Galilei, Giordano Bruno, Fritz Reuter und Heinrich Mann, sie wagten es, nur ihre Rechte zu verteidigen!
„Querulanten“ sind Martin Niemöller, Sacharow und Solchenizyn. Wenn es keine Querulanten gäbe, wäre die Welt ärmer. Das weiß auch unser Staat, der Querulantentum allgemein gewähren lässt, vor allem aber die vielen kleinen, Behörden und Justiz arg belästigenden Querulanten. Nur wenn gegen den Staat selber geklagt wird, wenn seine eigenen Entscheidungen, seine eigene Praxis überprüft werden sollen, dann ist seine Liberalität, sein Rechtsstaatsverständnis zu Ende, dann entpuppt er sich plötzlich als legitimer Nachfolger jenes preußischen Staates, in dem Querulantentum unter Strafe stand (Preußische Gerichtsordnung von 1795).
Der Begriff „Querulanz“ sollte aus dem Vokabular der Sachverständigen ein für alle Male gestrichen werden. Wo dieser Begriff in einem Gutachten vorkommt, sollte man gleich wissen, dass gegen den Beurteilten nichts Fundiertes vorzubringen ist, dass kein wirklich krankhafter Befund vorliegt, geschweige denn eine Geisteskrankheit, sondern eine gesunde, aber unbequeme Person zum Schweigen gebracht, statt Freiheits- oder Geldstrafe eine „Äußerungsstrafe“ verhängt werden soll.
Medizinische Gutachten werden vom Staat auch noch auf anderen Gebieten als Waffe eingesetzt. Es ist bekannt, dass er jede Person, die er einzustellen gedenkt, auf ihre Gesundheit untersuchen lässt. Statt der Privatwirtschaft mit gutem Beispiel voranzugehen, betätigt er sich aber als sozialpolitischer Bremser. Einmal stellt er bei weitem nicht die vorgeschriebene Zahl von Behinderten ein und zahlt lieber die dafür vorgesehene Ausgleichsabgabe (was den öffentlichen Haushalt zusätzlich belastet), ferner lässt er – mit Hilfe ärztlicher Gutachter – die dennoch Eingestellten als Widerrufsbeamte oder Angestellte arbeiten, also mit geringerem Kündigungsschutz, niedrigerem Gehalt und geringeren Aufstiegschancen.
Sie sind, obwohl sie das gleiche tun wie Beamte, Staatsdiener zweiter Klasse und können auch nichts dagegen unternehmen, weil ja ärztliche Gutachten nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Anstrengungen korrigierbar sind. Vor kurzem bot der Staat einem Wissenschaftler nach zwanzigjährigem Angestelltenstatus schließlich doch noch die Verbeamtung an! Der Gutachter, der bei der Einstellung vorzeitige Dienstunfähigkeit vorausgesagt hatte, war seinem Irrtum unterlegen.
Das ärztliche Gutachten ist – solange diese Praxis nicht allgemein durchschaut ist – eine Waffe, die durch wissenschaftliche Herkunft den Anschein von Unanfechtbarkeit besitzt. Sie ist praktisch unanfechtbar, aber nicht durch den Wahrheitsgehalt, sondern durch Fehlen einer unabhängigen Instanz, die dem Sachverständigen – und damit der öffentlichen Gewalt, die sich seiner bedient – auf die Finger klopft. Die deutschen Gerichte sind – trotz ermutigender Ausnahmen – noch weit davon entfernt eine solche unabhängige Instanz darzustellen.
Joachim Hellmer (†1991) war Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Kiel und Direktor des Kriminologischen Instituts dieser Universität. Auf diesen Aufsatz wird in einem einschlägigen Kommentar zur Zivilprozessordnung (ZPO) hingewiesen: Baumbach-Lauterbach-Hartmann-Albers, Einl. III, 6 A. , Rn 67. Prof. Dr. Joachim Hellmer veröffentlichte das Buch „Anpassung oder Widerstand? Der Bürger als Souverän – Grenzen staatlicher Disziplinierung“, ISBN 3-7201-5201-4. Bibliotheksdienst von RechtsCentrum
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